Im letzten Abschnitt wurde vorausgesetzt, daß der Rand des Gebiets glatt ist, damit er von einem Diffeomorphismus auf ein Hyperebenenstück glattgebogen werden kann. Unter bestimmten Voraussetzungen lassen sich die Abschätzungen jedoch auch auf nichtglatte Gebiete verallgemeinern, und zwar mit Hilfe von Spiegelungstechniken. Gegeben sei folgende Situation:
Das Gebiet
ist das cartesische Produkt eines endlichen Intervalls mit und eines beschränkten Gebiets mit -Rand. Offenbar ist ohne weiteres nicht glatt genug für die Abschätzungen des letzten Abschnitts, denn der Rand ist lediglich von der Güte . Auf ist eine Funktion u gegeben, die einer Differentialgleichung mit Randbedingungen der folgenden Art genügt:
Auf wird dann eine -Abschätzung für u wie in den vorherigen Abschnitten benötigt. Da die Abschätzung des vorherigen Abschnitts nur für glatte Gebiete gilt, wird die Funktion u über den Rand von hinaus mittels einer Spiegelung fortgesetzt, in der Hoffnung, daß die gespiegelte Funktion auf dem erweiterten glatten Gebiet selbst glatt ist und einer glatten Differentialgleichung genügt. Dabei gibt es zwei grundlegende Möglichkeiten: a) Fortsetzung mittels einer ungeraden Spiegelung über den Dirichletrand hinaus, und b) Fortsetzung mittels einer geraden Spiegelung über den Neumannrand hinaus.
Die Technik a) kann freilich nur funktionieren, wenn u auf den Spiegelachsenrandstücken konstant ist, was in unserer Anwendung jedoch kein Problem ist: Entweder ist die Funktion dort konstant 0 oder 1, oder sie ist schon auf einem etwas größeren Gebietsstück gegeben, so daß sich eine Spiegelung ganz erübrigt. Für den linken Rand und u=0 dort hat die Spiegelung dann folgende Form:
Die Spiegelung am rechten Rand mit u=1 erfolgt analog. Bei dieser ungeraden Spiegelung bleibt die Differentialgleichung erhalten, lediglich das Vorzeichen des Koeffizienten ändert sich. Dies führt zu einer Unstetigkeit in diesem Koeffizienten, die für die -Abschätzungen jedoch nicht von Bedeutung ist. Insofern erhält man mit dieser Methode -Abschätzungen, jedoch keine Schauderabschätzungen. Diese sind aber sowieso nicht zu erwarten, denn die ungerade Spiegelung ist lediglich eine -Fortsetzung, so daß die Funktion u über die Spiegelungskante hinweg i. allg. nicht zweimal stetig differenzierbar sein wird, zumindest solange dort nicht verschwindet.
Daher verwerfen wir die Technik a) und widmen uns der Möglichkeit b), nämlich der Spiegelung am (i. allg.) gebogenen Neumannrand. Der gebogene Rand muß zunächst auf ein Hyperflächenstück geradegebogen werden. Dazu genügt es, wenn wir die -Koordinate zunächst außen vor lassen.
Da das Gebiet einen -Rand besitzt, gibt es zu jedem Punkt eine Umgebung , eine offene Menge mit und einen -Diffeomorphismus
Die Koordinaten aus V bezeichnen wir mit . Wir erweitern zu einer Funktion vermöge
Nach eventueller Verkleinerung von U und V ist ein -Diffeomorphismus. Diese Konstruktion ist in der Differentialgeometrie unter dem Namen ,,Fermi-Koordinaten`` bekannt. Würde man stattdessen gleich von einer abstrakten Funktion ausgehen, die U diffeomorph nach V abbildet, so erhielten wir keine Orthogonalitätsbeziehungen, die jedoch unbedingt erforderlich sind, wie wir später sehen werden. Sei die Inverse von . Wir betrachten nun die Differentialgleichung unter der Transformation . Sei die transformierte Funktion. Dann gilt
Die Randbedingungen transformieren sich erwartungsgemäß:
d.h. Normalenableitungen gehen wieder in Normalenableitungen über.
Wir untersuchen das Aussehen der Matrix , und zwar durch Betrachtung ihrer Inversen . Dies ist tatsächlich die Inverse, denn
Weil tangentiell zu im Punkt für alle ist und senkrecht dazu liegt, gilt
also
Da die Matrix symmetrisch ist, ergibt sich die Gestalt
Damit hat auch ihre Inverse diese Gestalt. Dies erlaubt uns die Herleitung von -Abschätzungen:
BEWEIS. Dieser Satz wird ähnlich bewiesen wie Satz 5.6, unterschiedlich ist lediglich die Behandlung des Randes. In Satz 5.6 wurde zu jedem Punkt aus dem Inneren des Gebiets eine ganz im Inneren liegende Umgebung gefunden und dort eine innere lokale Abschätzung verwendet, ebenso wurde zu jedem Randpunkt das Gebiet lokal glattgebogen und mit einer Randabschätzung abgeschätzt. Ein Kompaktheitsargument lieferte dann die Abschätzung für das ganze Gebiet. Für diesen Satz dagegen wird folgendermaßen verfahren:
Für jeden inneren Punkt des Gebiets finden wir wie gehabt eine lokale Abschätzung, ebenso wird für jeden Punkt aus dem glatten Rand eine lokale Randabschätzung durchgeführt, was problemlos ist, wenn man die Umgebung so klein wählt, daß man von den Ecken im Gebietsrand wegbleibt. Neu ist die Behandlung der Punkte aus . Zu jedem solchen Punkt kann das Gebiet wie oben beschrieben lokal glattgebogen werden, die -Koordinate bleibt ohne Transformation bestehen. Wie man den Transformationsgleichungen (5.55) und (5.56) entnimmt, genügt die glattgebogene Funktion v dann einer Differentialgleichung
mit der Randbedingung . Mittels der Vorschrift
wird v gespiegelt. Dabei ändern sich die Vorzeichen der Ableitungen , , , , . Die Koeffizienten der Terme zweiter Ordnung der Differentialgleichung bleiben erhalten, denn die Matrix hat wie vorher festgestellt an den Stellen, wo die Ableitungen das Vorzeichen wechseln, eine Null stehen. Das heißt, daß die gespiegelte Funktion der Differentialgleichung (5.62) genügt, deren Koeffizienten zweiter Ordnung stetig sind. Daher lassen sich auch hier lokale -Abschätzungen finden, und zwar innere, falls der Ursprungspunkt aus stammt, und Randabschätzungen, falls der Punkt aus stammt (den ursprünglichen Gebietsecken), wobei dann der verbleibende Rand der (gerade) Dirichletrand ist, denn der Neumannrand wurde soeben durch Spiegelung unschädlich gemacht. Da die Integralnormen der Funktion auf dem Spiegelgebiet gleich den Integralnormen auf dem ursprünglichen Gebiet sind, folgt am Ende mittels des Kompaktheitsarguments die gewünschte -Abschätzung auf .
Mit dieser Methode lassen sich auch Schauderabschätzungen durchführen, solange man weiß, daß alle Koeffizienten der Differentialgleichung Hölderstetig sind.
BEWEIS. Anstelle der -Abschätzungen werden Schauderabschätzungen verwendet, ansonsten wird genauso wie in Satz 5.7 verfahren. Hierbei muß jedoch garantiert werden, daß die Koeffizienten nach der Spiegelung noch Hölderstetig sind. Konkret wird als innere Abschätzung Satz 6.2 oder Korollar 6.3 aus [GT] und als Randabschätzung Korollar 6.7 verwendet werden.
Im Fall n=2 tritt das Problem der Randglattheit nicht auf, da ein Intervall ist und keine Spiegelung erforderlich ist. Im Fall n=3 bedienen wir uns eines Resultats aus der Differentialgeometrie. Schreibt man die Transformation des Laplaceoperators beim Glattbiegen mittels der Christoffelsymbole auf, so ergibt sich gemäß [Ham] (Seite 4), daß übergeht in
ist dann als eindimensionale Mannigfaltigkeit lokal eine Kurve, durch die wir eine Geodätische laufen lassen und so unsere Funktion erhalten. Zu dieser Geodätischen bilden wir wie in Gleichung (5.54) die Fermikoordinaten. Gemäß einem Resultat aus [GKM] (Seiten 113-114) verschwinden dann die Christoffelsymbole entlang der Geodätischen: . Damit fallen die Terme erster Ordnung, die durch den Laplaceoperator entstehen, auf dem Gebietsrand weg. Da die Differentialgleichung nach Voraussetzung ebenfalls keine Terme erster Ordnung in y- bzw. z-Richtung enthält, entstehen hier auch keine Unstetigkeiten. Die Terme zweiter Ordnung wurden bereits vorher als stetig erkannt; für die Hölderstetigkeit gilt das gleiche. Somit erhält man nach der Spiegelung eine Funktion, die einer Differentialgleichung mit hölderstetigen Koeffizienten genügt, so daß die Anwendung der lokalen Schauderabschätzungen möglich ist. Wie 5.7 wird durch ein Kompaktheitsargument die Schauderabschätzung auf dem ganzen ungespiegelten Gebiet ermöglicht.
Im Fall verschwinden die Christoffelsymbole i. allg. nicht, so daß mit Unstetigkeiten gerechnet werden muß, die die Durchführung der Schauderabschätzungen verhindern. An dieser Stelle liegt die Lücke der Diplomarbeit, die trotz vieler Bemühungen und Forschungen in verschiedene Richtungen leider nicht geschlossen werden konnte.